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Die Ampel und die Renten-Realitätsverweigerung

Kurzfassung:
Der Vertrag der Ampel-Koalition sieht vor, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung alle Linien gehalten werden: Beitragssatz, Rentenniveau und Renteneintrittsalter sollen konstant bleiben. Die Rechnung kann aufgrund des demographischen Wandels nicht aufgehen. Dem zu entgegnen sollen entstehende Vorsorgelücken durch die Anlage von 10 Mrd. Euro in einem staatlich organisierten Fonds geschlossen werden. Da dieser Betrag viel zu klein ist und zugleich die Dynamik des demographischen Wandels zu früh einsetzt, ist der Fonds zur Lösung der drängenden Probleme nicht geeignet. Das heißt, dass die Rentenlücke über Steuern finanziert werden muss.
Die Ausführungen zur Rente verweigern sich so der Realität des demographischen Wandels und verwerfen sozialdemokratische Prinzipien in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird das Ziel einer Generationengerechtigkeit verfehlt, da die Haltelinien das Gerechtigkeitsprinzip der im Gesetz verankerten Rentenanpassungsformel unterlaufen. Zum anderen müsste sozialdemokratische Politik darin bestehen, die Effizienz eines Systems zu steigern – in diesem Fall durch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters –, um so den Ressourcenspielraum zur Erreichung von Umverteilungszielen zu erweitern. Schon jetzt sind die steuerfinanzierten Subventionen im Rentensystem erheblich; eine weitergehende Steuerfinanzierung wird die Transparenz des Systems und die gesamtökonomische Effizienz verringern.
Schließlich kann eine höhere Kapitaldeckung durch Stärkung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge erreicht werden. Natürlich ist es denkbar, dass der Staat zusätzlich die Rentenversicherung stützt, indem er zu günstigen Konditionen Kredite aufnimmt und dieses Kapital zu höheren Renditen investiert. Warum aber sollte eine staatliche Institution geschaffen werden, die zusätzlich gegen Staatseingriffe immunisiert werden muss, wenn wir über einen gut organisierten Versicherungsmarkt verfügen? Es ist sinnvoller, wenn der Staat jedem Erwerbstätigen einen über Schulden finanzierten Betrag auszahlt, der seitens der Privathaushalte in eine Kapitalanlage investiert werden muss. Ein Default-Produkt kann von einem Konsortium der deutschen Versicherungswirtschaft angeboten werden, und ein Umstieg auf eine standardisierte Alternative ist durch Wahl auf einer Internet-Plattform möglich. Transaktionskosten dieses Systems wären sehr gering, eine solche kapitalgedeckte Altersvorsorge wäre also sehr renditeträchtig.

In voller Länge
Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht vor, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung alle Linien gehalten werden. Demnach sollen Beitragssatz und Rentenniveau konstant bleiben und auch das Renteneintrittsalter nicht angepasst werden. Die Rechnung kann aufgrund des demographischen Wandels der seine Dynamik in wenigen Jahren voll entfaltet, nicht aufgehen. Dem zu entgegnen ist angedacht, entstehende Vorsorgelücken in der Rentenversicherung durch die Anlage von 10 Mrd. Euro in einem staatlich organisierten Fonds zu schließen. Da dieser Betrag gegeben die Bedürfnisse des Rentensystems viel zu klein ist und zugleich die Dynamik des demographischen Wandels zu früh einsetzt als dass dieser Fonds implementiert ist und eine Rendite tragen wird, ist er für die drängenden in diesem Jahrzehnt auf uns zu kommenden Probleme denkbar ungeeignet. So sind die Aspekte parametrische Rentenreform – durch Anpassung der Größen Beitragssatz, Rentenniveau und Renteneintrittsalter – zu trennen von einer zusätzlichen kapitalgedeckten Komponente, die noch längerfristiger greifen könnte, wie auch immer diese organisiert sein mag.
Ich wende mich zunächst dem ersten Aspekt zu. Wie ich vor einigen Jahren schon argumentiert habe (siehe SAFE White Paper No 40 aus dem Jahr 2016), besteht in der Rentenversicherung bezüglich des Renteneintrittsalters eigentlich ein Nachholbedarf, da wir ja bereits seit mehr als 20 Jahren von den Problemen sprechen, sich aber wenig getan hat. Die Menschen leben länger, weil sie gesünder sind! Deswegen ist es nur natürlich im Sinne einer Generationengerechtigkeit, die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung zu koppeln. Zusätzlich zu der bestehenden Indexierung der Renteneinkommen an die Lohneinkommen, bedarf es dringend einer weiteren Indexierung im Rentensystem, nämlich einer des Renteneintrittsalters an die Restlebenserwartung ab Alter 65.
Die Indexierung an die Entwicklung der Löhne sowie auch die Einführung des demographischen Faktors – des Nachhaltigkeitsfaktors – in der deutschen Rentenformel im Jahr 2003 stellen sinnvolle Mechanismen dar, wie eine faire Lastenverteilung zwischen den jungen arbeitenden und den alten verrenteten Generationen erreicht werden kann, sowohl von Lohnschwankungen an denen Rentner durch die Formel beteiligt werden sowie von den Belastungen des demographischen Wandels. Immerhin wurde kürzlich beschlossen, den Nachholfaktor wieder zu aktivieren, wodurch Rentenerhöhungen gebremst werden um die Kosten der nicht erfolgten Absenkungen während der Corona-Krise wieder auszugleichen.
Die derzeitigen Beschlüsse der künftigen Ampel-Regierung greifen aber fehl, da sie implizit ausdrücken, dass das Rentensystem einer größeren Steuerfinanzierung bedarf. Schon jetzt sind die steuerfinanzierten Subventionen im Rentensystem erheblich und eine noch weitergehende Steuerfinanzierung wird die Transparenz des Systems noch mehr verringern und auch die Ineffizienzen erhöhen, da eine Steuerfinanzierung mit großen Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt einhergeht. Auf der anderen Seite könnten Verringerungen des Rentenniveaus durch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters reduziert werden. Summa summarum verringern die Beschlüsse der Ampelkoalition die ökonomische Effizienz und sind damit gerade das Gegenteil einer ausgewogenen sozialdemokratischen Politik, die für die Haltelinien verantwortlich ist. Eine sozialdemokratische Politik würde nämlich ganz im Gegenteil die Effizienz im System erhöhen und dann die gewonnenen Ressourcen gerecht zwischen den Generationen und innerhalb der Generationen gerecht umverteilen.
Eine höhere Kapitaldeckung der Altersvorsorge kann durch die Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorgesysteme erreicht werden. Dies ist aber, wie gesagt, von den parametrischen Reformen des Rentensystems zu trennen. Natürlich ist es darüber hinaus per se denkbar, dass der Staat zu günstigen Konditionen Kredite aufnimmt und dieses Kapital in eine Anlage mit höheren Kapitalrenditen investiert, also eine Leverage-Position eingeht. Eine stärkere Beteiligung am Kapitalmarkt wäre auch deshalb wünschenswert, weil Löhne und Kapitaleinkommen langfristig negativ korreliert sind, der Staat also darüber hinaus eine Hedging-Position einnimmt. Jedoch habe ich große Bedenken bei der Vorstellung, dass eine staatliche Institution die Altersvorsorgevermögen verwaltet, auch wenn dies in kleineren Ländern wie Norwegen und Schweden der Fall ist. Zum einen müsste ein solcher Fonds neu geschaffen und mit einer entsprechenden Governance-Struktur versehen werden, zum anderen müsste im Grundgesetz verankert werden, dass der Staat keinen Zugriff auf die dort liegenden Vermögen hat; um zum Beispiel in schlechten Zeiten das Ersparte anzugreifen. Warum aber sollte eine Institution neu geschaffen werden, die zusätzlich gegen eine zeitlich inkonsistente Politik immunisiert werden muss, wenn wir über einen gut durchdrungenen kompetitiven Versicherungsmarkt verfügen? Mir scheint es sinnvoller, ähnliches dadurch zu erreichen, dass der Staat pro Erwerbstätigen einen über Schulden finanzierten Betrag an die Erwerbstätigen auszahlt, der dann seitens der Privathaushalte in eine private Kapitalanlage investiert werden muss. Ein Default-Produkt hierfür kann von einem Konsortium der deutschen Versicherungswirtschaft angeboten werden, und es wären alle Versicherungsunternehmen nach Marktanteil daran beteiligt. So wären die Risiken über Unternehmen diversifiziert. Sollte eine Person ein anderes Produkt wünschen, etwa mit einem höheren Aktienanteil, so ist ein Umstieg leicht möglich, durch Auswahl auf einer Plattform, auf der entsprechende standardisierte Alternativen angeboten werden. Transaktionskosten eines solchen Systems wären sehr gering, eine solche kapitalgedeckte Altersvorsorge wäre also sehr renditeträchtig.

Alexander Ludwig

Alexander Ludwig

Since 2009 I am Professor of Economics and since April 2014 I am Professor for Public Finance and Macroeconomic Dynamics at Goethe University, Frankfurt.

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