Vortrag auf der LCOY Konferenz, 16. Oktober 2021
Dem Vortrag liegen diese Folien zugrunde.
Liebes Publikum, liebes LCOY-Organisationsteam,
ich bedanke mich für die Möglichkeit, heute einen Vortrag zu dem komplexen Spannungsfeld zwischen der Frage nach dem Ausmaß staatlicher Investitionen für umweltpolitische Maßnahmen und der deutschen Schuldenregel zu halten.
CEPR eBook. Zusammen mit Francesco Caselli und Rick van der Ploeg habe ich vor etwa einer Woche ein eBook herausgegeben, das sich in insgesamt 21 Kapiteln über verschiedene Länder und Themen mit einfach durchführbaren und offensichtlichen Maßnahmen zum Klimaschutz befasst. Hierbei ist zu betonen, dass in dem Buch neben einfachen und offensichtlichen Maßnahmen auch viele Maßnahmen diskutiert werden, die zwar offensichtlich jedoch entweder aus technischen Gründen oder Mangels politischen Willens nicht leicht durchführbar sind. Zu letzteren gehören Staatseingriffe, um Subventionen zu leisten, sowohl in F&E wie auch Infrastruktur. Das bringt uns zum Ausgangspunkt des Vortrags.
Ausgangspunkt. Im Jahr 2019 wurde das Bundes-Klimaschutzgesetz beschlossen, das einen Rückgang der Netto-Emissionen von CO2 um 55% konsistent mit den Zielen der EU von den Niveaus in 1990 bis 2030 festlegt. Im Juni 2021 wurde das Gesetz weiter modifiziert. Das Ziel ist nun eine 65%tige Reduktion bis 2030 und eine 88%tigen bis 2040, um schließlich Nullemissionen bis 2045 zu erreichen. Beschlossen ist unter anderem ein Ausbau der Ladestationen für E-Autos von derzeit bundesweit 35000 auf 1 Millionen in 2035. Nach Expertenmeinungen wird dies nicht ohne eine weitere Verschärfung der Maßnahmen, die bis zum jetzigen Zeitpunkt beschlossen sind, erreichbar sein. Insbesondere bedarf es voraussichtlich massiver staatlicher Investitionen in grüne Infrastruktur und F&E, womit wir den Bogen zum nächsten Themenpunkt schlagen: Wie soll das alles finanziert werden?
Eine Möglichkeit sind Staatsschulden, eine Form von inter-generationaler Lastenverteilung. Hier müssen diejenigen, die von den heutigen Maßnahmen profitieren, sprich die zukünftigen Generationen, die Steuern zahlen, um die Schulden wieder abzutragen. Wie ich später zeigen werde, muss dies allerdings nicht mit höheren Steuersätzen einhergehen. Der Option Staatsschulden ist jedoch ein Riegel vorgeschoben: die Schuldenbremse. Mit dieser verfassungsrechtlichen Regelung des Jahres 2009 wird die „strukturelle“, das heißt von der Konjunktur unabhängige, staatliche Neuverschuldung für die Länder verboten und für den Bund auf maximal 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts beschränkt. Es sind Ausnahmen vorgesehen für Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen und ein konjunktureller Finanzierungssaldo ist zulässig. Dieser ist im Aufschwung positiv und im Abschwung negativ ist, was durch Tilgungspläne geregelt wird. Nach langer Diskussion in den vorbereiteten Gremien wurden seinerzeit Investitionen ausgenommen. Dies liegt zum einen an dem schwammigen Investitionsbegriff und entsprechenden Abgrenzungsproblemen. Beispielsweise sind Bildungsausgaben, die im ökonomischen Sinn Investitionen in Humankapital darstellen, im fiskalischen Sinn keine Investitionen, sondern Subventionen. Des Weiteren liegt es an dem aus der Privatwirtschaft bekannten Problem wie genau Abschreibungen handzuhaben sind. Hier können Versäumnisse oder unsachgemäße Abschreibungen dazu führen, dass Vermögenswerte zu hoch ausgewiesen werden.
Die Kernfrage lautet: Können wichtige Infrastrukturmaßnahmen zum Klimaschutz wie auch zur Digitalisierung und weitere öffentliche Investitionen unter dem derzeitigen Regelwerk durchgeführt werden?
CO2 Ausstoß und Ziel. In diesem Vortrag möchte ich näher darauf eingehen, was in Anbetracht der Notwendigkeit viel mehr als im Mindesten die vergangen beiden Jahrzehnte für den Klimaschutz zu tun war. Das heißt, ich möchte beleuchten, was es bedeutet die Zukunft zu gestalten und nicht nur zu verwalten, zu regieren und nicht nur nach politischem Kalkül zu reagieren. Bevor ich das mache, möchte ich zunächst einige Fakten beleuchten. Diese Abbildung zeigt, wie sich CO2 Emissionen, aufgeschlüsselt nach den wichtigen Sektoren, bis 2019 entwickelt haben und wie sie sich nach den Plänen entwickeln werden. Wir sehen, dass die wesentlichen Anteile die Bereitstellung von Energie, der Industriesektor sowie Wohnbau und Transport sind und dass das Tempo erheblich zunehmen muss, um die gesteckten aber durchaus guten Ziele erreichen zu können. Die gelbe Linie zeigt zudem, dass das Treibhausgasbudget und dessen Trajektorie zur Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele weit höher ist als das Budget, das zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens für Deutschland angemessen ist.
Staatsschulden. Der zweite Gegenstand, mit dem ich mich in diesem Vortrag befasse, ist die Staatsverschuldung, und ob im Rahmen der nationalen Schuldenpolitik, unter der Institution der Schuldenbremse, die nötigen Ausgaben getätigt werden können. Zunächst betrachten wir in der hier gezeigten Abbildung die Verläufe von Staatsschulden seit 1995 in Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Spanien, Japan und den USA. Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Bild ist, dass Deutschland es gelungen ist, trotz aller Krisen in dem Band zwischen 50% und 100% Schuldenquote zu bleiben, während andere Staaten stärker ansteigende Schuldenverläufe verzeichnen. Daraus eine normative Aussage über die Höhe der optimalen Staatsschulden abzuleiten, ist allerdings nicht meine Absicht.
Rechtfertigung Staatseingriffe. Wenn wir uns dem Thema zuwenden, warum wir überhaupt Staatseingriffe haben, so fallen im Zusammenhang mit der Umweltpolitik natürlich die negativen Externalitäten durch Umweltschäden auf, die durch Staatseingriffe, etwa durch Regulierung oder CO2-Steuern, adressiert werden. Diese CO2-Steuren sind eigentlich nichts anderes als ein Mechanismus, um implizite Energiesubventionen abzuschaffen, das heißt den gesellschaftlich adäquaten Energiepreis am Markt umzusetzen. Besonders bedeutend sind die bereits eingangs erwähnten positiven Externalitäten durch Netzwerke – Ladestationen im Transport- und das Stromnetz im Energie-Sektor – und Forschung- und Entwicklungsausgaben. Sie sind hier in rot markiert, da diese relevant für die Frage nach der Sinnhaftigkeit schuldenfinanzierter Investitionen sind. Vielfach wird auch aufgeführt, dass zur Kompensation durch CO2-Steuern Staatsschulden benötigt werden, um benachteiligte Einkommensklassen zu kompensieren. Da die berechneten Aufkommen bei einem CO2-Preis von 100$ pro Tonne CO2 bei etwa 0.7% des Bruttoinlandprodukts liegen, die Umverteilung aber nur etwa 0.1% kosten würde, erscheint dieses Argument weniger gewichtig. Schließlich ist bekannt, dass die Bandbreite möglicher Pfade zukünftiger Temperaturanstiege durch CO2-Emissionen sehr groß ist. Kommen wir also mit einem blauen Auge davon? Ist der Klimawandel gar nicht menschgemacht, sondern nur eine Welle wie die Heißperiode im Mittelalter? Oder steuern wir auf eine Katastrophe zu? Zwischen diesen beiden Fragen, die unterschiedliche Modelle der wahren Welt skizzieren, besteht eine große Unsicherheit. Hinzu kommt, dass der Schaden bei Gültigkeit des zweiten Modells immens hoch ist. Daher muss gehandelt werden, insbesondere auch seitens des Staates.
Kernfrage. Um zurück auf die Kernfrage zu kommen, betrachten wir Infrastrukturinvestitionen und F&E Subventionen – die natürlich eine Phase-Out-Phase brauchen, sobald neue Technologien breitflächig eingesetzt und damit voll marktfähig werden – sowie Prestige-Projekte. Bei Prestige-Projekten denke ich, auf der grünen Wiese, an Magnetschwebebahnen, die München und Hamburg und Berlin verbinden und nicht an moderne Windmühlen, die trotz ihrer niedrigen Energie-Ausbeute von 25-30% und der lokalen Naturprobleme das non plus Ultra deutscher Energie-Politik zu sein scheinen. Die Frage ist nun folgende: Können diese Infrastrukturinvestitionen und F&E Subventionen sowie Prestige-Projekte im Rahmen der Schuldengrenze finanziert werden? Jede sinnvolle öffentliche Investition zieht private Investitionen nach sich und jede Investition trägt eine Rendite in der Zukunft. Diese ist gerade bei umweltpolitischen Maßnahmen sehr hoch aber andererseits auch mit hohem Risiko behaftet. Aus diesem Grund sind einige Autoren um Larry Kotlikoff zu dem Schluss kommen, dass intergenerationale Lastenverschiebung durch Schulden alle Generationen besserstellen können, da die zukünftigen Generationen von den Investitionen profitieren. Wichtig zu erwähnen ist hier ferner das Niedrigzinsumfeld, das, wie ich später noch betonen werde, uns noch eine Weile erhalten bleiben wird, trotz der derzeitigen Preisentwicklung insbesondere der Energiepreise, die wahrscheinlich zeitlich begrenzt sein wird. Insofern sind die Kosten einer Kreditaufnahme für den Staat derzeit, sowie wahrscheinlich noch in einigen Jahrzehnten, recht gering.
Schuldenregel. Dementgegen steht die Schuldenbremse, deren Rechtfertigung insbesondere darin liegt, populistischen Staatseingriffen vorzubeugen. Solche sind, leider, ubiquitär, wie die immer wieder laute politische Opposition bei Reformen der Rentenversicherung durch eine Erhöhung des Verrentungsalters zeigt. Diese Opposition ist nichts anderes als die Schaffung impliziter Staatsverschuldung zu Lasten junger und zukünftiger Generationen. Von der Schuldenbremse sind Investitionen ausgenommen und dies soll unter anderem laut Wahlkampfprogramm der Grünen geändert werden. Ist dies sinnvoll?
Schuldenregel und Maastricht-Kriterien. Die bestehenden Schuldenregeln wie etwa die Maastricht-Kriterien, an denen sich die Zielgröße für die deutsche Schuldenbremse orientiert, beruhen auf statischen Konzepten und haben wenig mit ökonomischer Dynamik gemein. Ihnen liegen langfristige Annahmen zu staatlichen Defiziten – das primäre Defizit plus die Zinslasten für Schuldentilgungen – Wachstum und Inflation zugrunde. So lässt sich beispielsweise die Maastricht-Regel einer Schuldenquote von 60% des Bruttoinlandsprodukts aus der Annahme von 3% Wachstum, 2% Inflation, und der zweiten Zielgröße, einem jährlichen Gesamtdefizit von 3% herleiten.
Schuldenarithmetik: Niveau. Um eines meiner wichtigsten Plädoyers dieses Vortrags vorzubereiten, muss ich etwas weiter in Staatsschulden-Arithmetik einsteigen. Hier stelle ich eine reale Betrachtungsweise an. Da sich Nominalzinsen entsprechend anpassen, kürzt sich die Inflation langfristig raus und ist für eine langfristig orientierte Politik irrelevant. Dies heißt jedoch nicht, dass höhere Inflation mittelfristig zu einem Absenken der Schuldenquote führen würde. Die Staatsschulden B in einem Jahr t+1 ergeben sich aus den Schuldenbestand des Jahres t und der Zinslast auf diese, r*B. Neben den Ausgaben für die Zinsen erhöhen sich Staatsschulden ferner durch ein primäres Defizit, die Differenz aus Ausgaben E und Einnahmen durch Steuern und Gebühren T.
Schuldenarithmetik: Quote. Relevant für uns ist nicht die absolute Höhe, sondern das Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt Y, das heißt b=B/Y. Wir sehen, dass etwa ein Anstieg der Wachstumsrate die Schuldendynamik bremst, da das Bruttoinlandsprodukt steigt und auf dessen Basis Steuereinnahmen zur Tilgung der Staatsschulden erhoben werden. Langfristig, das heißt unter einer angenommenen Konstanz der Größen, ist ein positives primäres Defizit dann möglich, wenn die Wachstumsrate g größer ist als der Zins r, den der Staat auf seine Staatsschulden entrichten muss.
Modifizierte Schuldenregel. Aus dieser Lehrbucherkenntnis leite ich eine modifizierte Schuldenregel ab, die sich an Werten und Prognosen von Zinsen und Wachstumsraten orientiert. Damit folgt mein Plädoyer namhaften Ökonomen wie Carl Christian von Weizsäcker und Olivier Blanchard. Auch in anderen Bereichen der Staatsverschuldung kennen wir dynamische Regeln. Ein Beispiel dafür ist die implizite Staatsverschuldung der deutschen Rentenversicherung. Im Fall der Staatsverschuldung sind solche dynamischen Regeln etwas komplizierter, aber nicht unerreichbar. Die Indexierung müsste sich an Prognosen orientieren, die nur durch eine Expertenkommission oder den namhaften deutschen Forschungsinstituten mit all ihrer Expertise erreicht werden können. Die Orientierung an Wachstumsraten bedeutet, eine zielgerichtete Ausgabensteuerung und ein Bremsen der investiven Ausgaben könnte erfolgen, falls die Obergrenze eines bestimmten Schuldenkorridors – etwa 100% ‑ überschritten wird. Dieser wiederum könnte auf Basis des langfristigen Gleichgewichts plus Zugschlag berechnet werden. Hier gilt zu bedenken, dass auch für Versicherungsunternehmen auf Basis sehr langfristiger Prognosen von Zinssätzen regulatorische Maßnahmen getroffen werden. Warum sollte für den Staat nicht das gleiche gelten? Zugleich gibt es einen endogenen Anpassungsmechanismus: Wenn beispielsweise aufgrund der vermehrten staatlichen Ausgabenaktivität die Zinsen steigen, so würde die aus dem dynamischen ökonomischen Kalkül abgeleitete Regel zu den realen Schulden eine unmittelbare Dämpfung der Kreditaufnahme nach sich ziehen.
In der Gesamtschau würde dieser Vorschlag also die festen 0.35% der Einnahme aus Krediten durch eine Zahl ablösen, die sich variabel den ökonomischen Verhältnissen anpasst. Dies würde auch die Frage obsolet machen, ob man Schuldengrenzen an Investitionen koppeln soll, oder etwa an spezifische Umweltinvestitionen. Eine solche Regelung ist, wie zuvor bereits diskutiert, aufgrund der schwammigen Definition des Investitionsbegriffs im Allgemeinen und aufgrund einer Kategorisierungsproblematik auf bestimmte Investitionsgüter – Umwelt, Digitalisierung, Sicherheit, Transport? – im Speziellen problematisch.
Niedrigzinsen und Megatrends. Was wissen wir, Stand heute, über zukünftige Wachstumsraten und Zinssätze? Aus quantitativen makroökonomischen Modellen können wir viel lernen. Eine wichtige Einsicht ist, dass langfristig die Zinsen sowie die Wachstumsraten niedrig bleiben werden. Beide werden zudem durch Schäden, die durch Umweltverschmutzung ausgelöst werden, reduziert, und beide Größen würden ansteigen.
Schuldenregel und BVerfG-Urteil. Wenden wir uns von diesen Überlegungen den institutionellen Gegebenheiten zu. Einerseits steht hier die Schuldenbremse. Sollte diese durch die Politik einer zukünftigen Regierung verletzt werden, so müsste das BVerfG hinzugezogen werden. Dieses wiederum hat mit seinem Beschluss vom 24. März 2021 geurteilt, dass die Maßnahmen des Klimaschutzgesetzes zu gering ausfallen, da die spezifizierten Maßnahmen ab 2031 unzureichend sind. Wie würde das BVerfG bei einer Verletzung der Schuldenbremse urteilen, wenn diese Verletzung im Zuge der Finanzierung klimafreundlicher Investitionen geschieht?
Ich gestehe, dass ich weder auf diese Frage noch auf die Frage, ob im Rahmen der Schuldenbremse die notwenigen Investitionen geleistet werden können, eine Antwort habe. Verteidiger der Schuldenbremse weisen darauf hin, dass öffentliche Investitionen seit ihrer Einführung gestiegen und nicht gesunken sind. Sie verweisen ferner auf die Möglichkeit, bei konjunkturellen Schieflagen staatliche Defizite auszuweiten, und, dass man die Spielräume für öffentliche Investitionen im genannten Regelwerk effizient nutzen muss. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Spielraum ausreichend ist, um nötige Klimainvestitionen zu leisten. Ich bezweifle dies und halte die Schuldenbremse für zu restriktiv und zu wenig verankert in Modellen mit ökonomischer Dynamik. Von daher plädiere ich für die im Vorigen skizzierte Modifikation. Dies ist keine Willkür, sondern ein striktes Regelwerk und zieht somit auch einen hinreichenden Schutz vor populistischen Eingriffen nach sich. In einem solchen Rahmen wären zumindest mehr der wichtigen Investitionen möglich.
Andere Effektive Maßnahmen. Lassen Sie mich darüber hinaus noch wichtige und effektive Maßnahmen nennen, die den Staatshaushalt auf dessen Ausgabenseite weitgehend unberührt lassen. Wie ich bereits erwähnte, ließen sich Kompensationen der Belastung durch CO2-Steuern aus den so erhobenen Steuereinnahmen finanzieren, solange man nur eine intra-generationale Umverteilung im Sinn hat. Ein anderes Instrument, das ich besonders charmant finde, sind sogenannte Feebates, ein Akronym aus Fees und Rebates. Feebates erheben Gebühren auf Produzenten, die Güter mit einem CO2-Ausstoß über dem Durchschnitt herstellen, und gewähren entsprechende Nachlässe auf der anderen Seite. Insbesondere in der Automobilindustrie sind Feebates ein nützliches Element und werden in dem von mir eingangs genannten Buches prominent diskutiert.
Spannungsfeld. Zum Abschluss möchte ich noch auf das Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und Versorgungssicherheit eingehen, das aufgrund der derzeitigen Preisentwicklung auf Energiemärkten hohe Aktualität hat. Um die Spannung möglichst drastisch deutlich zu machen: Deutschland hat sich durch seine Energiepolitik der letzten Jahrzehnte in Abhängigkeiten von Despoten begeben. Der Umweltschutz bewegt sich aber nicht nur in diesem Spannungsfeld, sondern bedroht auch die Biodiversität und Bio-Treibstoffe die Nahrungsmittelsicherheit, wie beispielsweise in Südamerika. Darüber hinaus gibt es zahlreiche unbeabsichtigte Nebenfolgen, wie etwa Treibhausgaseffekte durch Dünger und womöglich höhere Krebsraten in Regionen, die Nahe an Flughäfen liegen, wo Pflanzenschutzmittel über Biotreibstoff in der Luft verteilt wird.
The Elephant in the Room. Der eigentliche Elefant im Raum, über den in der Elefantenrunde vor der Bundestagswahl bedauerlicherweise nur die AfD sprach, ist der Ausstieg aus der Kernenergie. Um nicht etwa in bestimmte politische Richtungen gedrückt zu werden, habe ich hier einige Zitate anderer Autoritäten aufgeführt. Gollier (2021): “The Blanchard-Tirole report supports the recommendation to extend the lifetime of the nuclear power plants as long as they remain safe. France should not make the same mistake as Germany […]”. Economist (16. Okt. 2021): “More reserves will be in gas but eventually hydrogen technologies could take over. More nuclear plants, the capture and storage of carbon dioxide, or both, are vital to supply a baseload of clean, reliable power.” FAZ (7. Okt. 2021) bezogen auf Aken: „Den Angaben zufolge könnten aus technischer Sicht alle sechs noch verbliebenen Atommeiler über die geplanten Abschalttermine Ende 2021 und Ende 2022 hinaus weiter am Netz bleiben, wenn die Politik einen Ausstieg vom Atomausstieg beschlösse.“
Ausstieg vom Ausstieg. Ich möchte in meinem zweiten Plädoyer des heutigen Abends den Aktionskreis Energie und Naturschutz (Aken) unterstützen: Ein Ausstieg vom Ausstieg wäre ein Schritt zu mehr Unabhängigkeit, zurück zu einem sinnvollen Energiemix, der wohlgemerkt nach wie vor nur einen Zwischenschritt zu Wasserstoff-Technologien darstellt. Darüber hinaus wird derzeit weltweit in moderne, sichere und effizientere Reaktoren investiert, die gebrauchte Brennstäbe recyclen können. Auch wenn das Zukunftsmusik ist, die mit hoher Unsicherheit einhergeht, würde Deutschland einen weiteren Zug verschlafen, wenn wir in dieser Technologie nicht wieder aktiv werden. Das Problem ist nicht nur ein derzeitig mangelnder politischer Wille, sondern auch fehlende Fachkenntnisse und, noch relevanter, die Zeitinkonsistenz. Große Energieunternehmer würden kaum einen Wiedereinstieg wagen, wenn die Gefahr besteht, dass die nächste Regierung die Veränderungen wieder zunichtemacht. Gegeben die politische Landschaft wird dieses zweite Plädoyer kaum Realität werden. Es ist bedauerlich, dass wir in der Umweltpolitik Pro und Contra oft nicht ideologiefrei diskutieren können.
Schlussbemerkungen. Die Zeit drängt. Außer dieser banalen Einsicht ist unklar, was die richtigen Maßnahmen sind. Ich bezweifle jedoch, dass die derzeitige Schuldenregel in Deutschland ausreichend Raum für die notwendigen umweltpolitischen Maßnahmen bietet. Von daher plädiere ich für die hier skizzierte Modifikation sowie für ideologiefreies Denken in allen Fragen den Umweltschutz betreffend.
[1] Ich danke Carl Christian von Weizsäcker und Andreas Gotthardt für sehr hilfreiche Diskussionen.