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Mindestrente: Absicherung gegen Altersarmut und notwendiger Baustein für weitere Reformen

von Johannes Geyer (DIW, Berlin), Peter Haan (DIW und FU, Berlin) und Alexander Ludwig

Dieser Blog basiert auf dem ICIR Policy Letter August 2021. Eine kurze Version wurde in DIW Aktuell 72 publiziert.

Die demografische Entwicklung in Deutschland wird im nächsten Jahrzehnt eine grundlegende Reform der Rente erforderlich machen. Bisher halten sich aber gerade die Regierungsparteien mit Vorschlägen zurück und sehen den Handlungsbedarf als nicht so dringlich. Einige Oppositionsparteien liefern hingegen richtungsweisendere Ideen für Menschen mit niedrigeren Alterseinkommen. Ein Blick in die Nachbarländer Österreich und die Niederlande zeigt aber noch einen anderen Weg auf: die Mindestrente. Sie könnte zumindest die finanzielle Absicherung sicherstellen und zum sozialen Ausgleich beitragen. Zudem wäre sie auch eine wichtige Voraussetzung, um andere Rentenreformen in Deutschland umzusetzen, wie eine Erhöhung des Rentenzugangsalters oder stärkere (kapitalgedeckte) private Vorsorge. Alternativ müsste die Grundsicherung deutlich überarbeitet werden, damit die Inanspruchnahme steigt.

Die gesetzliche Rentenversicherung steht vor großen demografischen Herausforderungen. Derzeit kommen etwa 100 Menschen zwischen 20 bis 65 Jahre auf 36 Menschen, die 65 oder älter sind. Der Altenquotient liegt damit bei 36 Prozent. Nach aktuellen Schätzungen wird der Altenquotient bis zum Jahr 2030 auf etwa 47 Prozent steigen und bis 2040 auf knapp 53 Prozent.[1] Das Erwerbspersonenpotenzial geht also im Verhältnis zu den Menschen, die eine Rente beziehen, erheblich zurück. Dadurch steigt absehbar der finanzielle Druck auf das Rentensystem und die Wahrscheinlichkeit weiterer Rentenreformen.

Die Herausforderung für die Politik besteht darin, neben der finanziellen Nachhaltigkeit des Umlagesystems gleichzeitig die Einkommenssicherungsfunktion der Rentenversicherung zu erhalten und weiter zu entwickeln. Die (allgemeine) Einkommenssicherungsfunktion wird häufig durch das sogenannte Sicherungsniveau vor Steuern (§154 Abs. 3a SGB VI) gemessen, welches das Verhältnis der Standardrente nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge (Standardrente, die sich mit 45 Beitragsjahren und Durchschnittseinkommen ergibt) und des verfügbaren Durchschnittsentgelts vor Steuern angibt.

Es wird geschätzt, dass  das Sicherungsniveau ohne weitere Reformen von 48,2 Prozent (2020) bis zum Jahr 2034 auf 45 Prozent zurückgehen wird.[2] Bei der Einkommenssicherungsfunktion geht es aber nicht nur um die Durchschnittsrenten, sondern auch um die Vermeidung von Altersarmut. Das Risiko, von Altersarmut betroffen zu sein – gemessen als statistische Quote des Armutsrisikos oder als Grundsicherungsquote – wird in den kommenden Jahren deutlich steigen. Das liegt erstens an den Rentenreformen der vergangenen Jahre, da die Altersarmut steigt, wenn das Rentenniveau sinkt.[3] Zweitens verstärkt sich dieser Effekt durch Veränderungen am Arbeitsmarkt, insbesondere durch die Zunahme nicht-sozialversichungspflichtiger Beschäftigung (Solo-Selbstständige, Minijobs, Crowdworker) und die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Dabei ist das Risiko für Menschen mit unterbrochenen Erwerbskarrieren, mit Erwerbsunfähigkeit oder längeren Zeiten in Teilzeitbeschäftigung besonders hoch. Oft betrifft dies Alleinerziehende, Menschen mit geringer Bildung, Menschen mit schlechter Gesundheit oder Menschen mit Migrationshintergrund.[4]  Gleichzeitig haben diese Menschen in der Regel auch weniger Ansprüche an die betriebliche oder private Altersvorsorge.[5]  

Die Rentenreformen der Vergangenheit – insbesondere die Grundrente und auch die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente – lösen das Problem der Altersarmut bisher unzureichend. Die Grundrente fokussiert auf eine spezielle Gruppe von Versicherten mit langen Versicherungsbiografien und geringen Einkommen und verbessert deren Einkommensposition. Die Armutsrisikoquote kann durch die Grundrente im Jahr ihrer Einführung um immerhin zwei Prozentpunkte von 15,4 auf 13,4 Prozent gesenkt werden (Abbildung 1).

Abbildung 1: Armutsrisiko der über 65-jährigen in Deutschland (in %)

Allerdings erreicht sie viele Gruppen nicht, die besonders von Armut betroffen sind.[6] So profitieren Erwerbsgeminderte in der Regel nicht von der Grundrente. Trotz Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente liegt das Armutsrisiko hier weiterhin bei 30 Prozent. Auch die Grundsicherung im Alter löst das Problem der Altersarmut nicht. Die hohen Raten der Nichtinanspruchnahme für diesen Transfer von geschätzt über 50 Prozent[7] führen dazu, dass die Grundsicherung für viele Rentnerinnen und Rentner – sei es wegen Stigma, Komplexität oder Kosten der Beantragung – längst nicht den Kreis der Berechtigten erreicht Abbildung 2). 

Abbildung 2: Anteil der Nichtinanspruchnahme der Grundsicherung an allen Berechtigten (in %, nach Alter, Anspruchshöhe und Region)

Vorschläge der Parteien

Die kommende Bundesregierung steht also nicht nur vor der finanziellen Herausforderung durch die Alterung der Gesellschaft, sie muss das Rentensystem auch so reformieren, dass es der Altersarmut entgegenwirkt und die Einkommenssicherungsfunktion erhalten bleibt. Die Konzepte und Wahlprogramme betonen alle die Bedeutung der Einkommenssicherungsfunktion der Rente. Die Reformvorschläge unterscheiden sich jedoch deutlich und zielen auf unterschiedliche Gruppen ab. Die Union konzentriert sich vor allem auf drei Aspekte: Die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sollen auch dem Rentenbestand zu Gute kommen, aber erst mit Erreichen der Altersrente. Sie will die Regelungen zum selbstgenutzten Immobilienbesitz in der Grundsicherung günstiger gestalten und die Regelungen für Aussiedler und Spätaussiedler sowie jüdische Kontingentflüchtlinge verbessern. Auch die SPD sieht im Prinzip wenig akuten Handlungsbedarf. Sie will das Rentenniveau dauerhaft bei mindestens 48 Prozent stabilisieren. Zusätzlich soll das Risiko der Erwerbsminderung und Sorgearbeit besser abgesichert werden – es fehlen allerdings Details zu den vorgestellten Maßnahmen.

Im Gegensatz zu den derzeitigen Regierungsparteien sehen die vier Oppositionsparteien durchaus größeren Handlungsbedarf für Menschen mit niedrigen Alterseinkünften. FDP und AFD schlagen vor, Armut über Reformen der Grundsicherung durch die Einführung eines Freibetrags zu reduzieren. Die FDP will 20 Prozent der gesetzlichen Rente anrechnungsfrei auf die Grundsicherung gestalten, die AFD sogar 25 Prozent. Das würde den Berechtigtenkreis der Grundsicherung erheblich erweitern und die Grundsicherung zu einer Art Sockelrente außerhalb der Rentenversicherung machen. Diese Reformen wären allerdings nur wirksam, wenn die Inanspruchnahme der Grundsicherung deutlich steigt.

Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wollen hingegen Reformen innerhalb des Rentensystems umsetzen und zielen eher in die Richtung einer Grundrente am unteren Rand des Versicherungssystems. Die Grünen wollen die Grundrente in eine Garantierente weiterentwickeln. Das Konzept der Garantierente soll – bei Vorliegen einer bestimmten Versicherungszeit – eine Mindesthöhe von 30 Entgeltpunkten garantieren. Gleichzeitig soll das Rentenniveau stabilisiert werden. Somit wäre die große Mehrheit der Versicherten nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen.[8] Die Linke geht noch einen Schritt weiter und fordert die Einführung einer einkommens- und vermögensgeprüften Grundrente von netto 1 200 Euro pro Person und Monat. Das entspricht ungefähr 35 Entgeltpunkten (West) ohne Abzug von Sozialabgaben oder Steuern und liegt damit deutlich über dem Niveau, das die Grünen vorsehen. Gleichzeitig soll das Rentenniveau auf 53 Prozent angehoben werden.

Deutlich dämpfende Auswirkungen auf das Risiko von Altersarmut dürften also die Vorschläge von Grünen und Linken haben. Jedoch ist der Finanzbedarf, insbesondere bei dem Vorschlag der Linken, erheblich und unter den finanziellen Herausforderungen der Rentenversicherung nur mit einer deutlichen Ausweitung der Beitragssätze oder des Steuerzuschusses umsetzbar.

Effektive Mindestsicherung – von Nachbarländern lernen

Der Aspekt der ungenügenden Absicherung durch das Rentensystem am unteren Rand der Einkommensverteilung ist regelmäßig Gegenstand der Vergleiche unter OECD-Ländern.[9] Deutschland hätte daher schon längst von seinen Nachbarländern lernen können. In mehreren Ländern ist eine effektive Mindestsicherung in das Rentensystem integriert, zum Beispiel in Österreich[10] oder den Niederlanden.

In Österreich werden durch die Ausgleichszulage in der gesetzlichen Pensionsversicherung Renten (in Österreich Pensionen) bei finanzieller Bedürftigkeit auf einen bestimmten Schwellenwert angehoben. Voraussetzung ist die Erfüllung der Mindestversicherungsdauer von 15 Jahren. Es findet eine automatische Einkommensprüfung[11], aber keine Vermögensprüfung statt. Liegt das verfügbare Einkommen unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts, besteht Anspruch auf die Ausgleichszulage. Die tatsächlichen Zahlbeträge liegen deutlich über den durchschnittlichen Ansprüchen aus der Grundsicherung im Alter in Deutschland. Das gilt auch für die durchschnittlichen Rentenzahlungen. Nach 45 Versicherungsjahren entspricht die Rente 80% des im Erwerbsverlauf durchschnittlich erzielten Einkommens und damit merklich über dem durchschnittlichen Rentenniveau in Deutschland.

In den Niederlanden hängt die Höhe der gesetzlichen Rente (AOW-Rente) nicht vom Einkommen in der Erwerbsphase oder Vermögen ab. Für den Bezug einer vollen AOW-Rente ist ein Aufenthalt in den Niederlanden von 50 Jahren erforderlich. Im Grundsatz ist jede/r, die/der im Land lebt, in die Versicherung einbezogen, unabhängig vom Erwerbstatus. Für jedes Jahr mit Einbezug in die Versicherung (Wohnort oder Arbeitsort in den Niederlanden) steigt der Rentenanspruch (Anteil an voller AOW-Rente) um zwei Prozentpunkte. Die (Netto-)Rente beträgt für eine alleinstehende Person 70 Prozent des Mindestlohns, bei Paaren (verheiratet oder unverheiratet) sind es 50 Prozent für jeden der beiden. Die Bruttobeträge sind aktuell (Juli 2021) für Alleinstehende 1 301 Euro und für Paare 1 779 Euro.Neben der Mindestrente gibt es eine beinahe flächendeckende Betriebsrente in den Niederlanden, die die wichtige zweite Säule des Rentensystems darstellt.

Durch die Mindestrenten sind die Rentensysteme in Österreich und in den Niederlanden also deutlich umverteilender als das Rentensystem in Deutschland. Die Beitragsäquivalenz, die im Zentrum des Deutschen Rentensystems steht, ist damit stark aufgeweicht oder gilt weitgehend nicht. Es ist aber eine effektive Absicherung von Altersarmut gegeben.

Progression in der Rente – von wissenschaftlichen Studien lernen

Die Auswirkungen umverteilender Elemente in der Rentenversicherung, sei es durch eine allgemeine Rentenprogression oder eine Mindestrente, werden in zahlreichen wissenschaftlichen Studien diskutiert. Dabei stehen die Versicherungswirkung eines umverteilenden Rentensystems und Effizienzverluste, die durch die Finanzierung dieser Umverteilung generiert werden, im Zentrum. Die Kernfrage ist, ob die Wohlfahrtsgewinne durch die Versicherung die Wohlfahrtsverluste aufgrund der gesunkenen Effizienz überwiegen.

Progression und die damit einhergehende Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung ist eine Versicherung gegen Armut in der Rentenphase. In der dynamischen Betrachtung des gesamten Lebenszyklus einer Person versichert damit eine Mindestrente (oder eine anderweitig progressive Rente) Individuen aber auch gegen Risiken während der Erwerbsphase, da Einkommensschocks während der Erwerbsphase sehr persistent sein können und somit oft langfristige Auswirkungen haben. Diese Risiken umfassen z.B. Arbeitslosigkeit oder Beschäftigung im Niedriglohnbereich, Schwankungen von Löhnen aufgrund konjunktureller Schocks sowie auch Zinsrisiken. Arbeitsmarkt- und Zinsrisiken haben dabei eine individuelle und eine aggregierte Komponente. Bei der Beurteilung der Wohlfahrtsgewinne durch eine solche Versicherung in einem umverteilenden Rentensystem ist es sehr zentral, dieses gesamte Risiko über den Lebenszyklus zu betrachten.

Die Umverteilung im Rentensystem kann über Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden. Bei einer progressiven Rentenberechnung bekommen Menschen mit höheren Einkommen, für jeden eingezahlten Euro in Zukunft weniger Ertrag aus der Rentenversicherung. Dadurch entstehen für diese Gruppe negative Arbeitsanreize. Gleichzeitig bedingt eine Mindestrente (oder eine starke Progression) im niedrigen Einkommenssegment, dass Arbeits- und Sparanreize reduziert werden, da Menschen, die ohnehin relativ wenig verdienen, unabhängig von ihren Bemühungen eine Mindestrente erhalten.

Makroökonomisch können die genannten Effizienzverluste wichtige gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben: der Rückgang der eingesetzten Arbeit führt zu einer sinkenden Steuerbasis und damit reduziert sich bei gegebenen Beitragssätzen das Aufkommen. Damit sinken die zur Umverteilung verfügbaren Mittel. Zudem führen der Rückgang der Arbeit und ein möglicher Rückgang der Ersparnis über die verringerte Kapitalakkumulation[12] zu einer Verringerung ökonomischen Outputs. Dies hat zur Folge, dass Löhne sinken, was wiederum den Arbeitseinsatz reduzieren kann. Beides führt zu einer weiteren Reduktion der Steuerbasis.

Ob der Versicherungseffekt oder der so generierte Effizienzverlust dominiert, ist eine quantitative Frage, deren Beantwortung durch ihren normativen Charakter von der angenommenen relativen Gewichtung dieser beiden Facetten abhängt.[13] Zahlreiche Studien – auch für Deutschland – belegen, dass Rentenreformen negative Auswirkungen auf die Beschäftigung haben.[14] In vielen makroökonomische Modellen folgt daraus – im Zusammenspiel mit der zuvor genannten Verdrängung der Kapitalbildung ‑, dass bei progressiven Rentensystemen die Effizienzverluste überwiegen, so dass es zu Wohlfahrtsverlusten kommen würde.[15] Jedoch nehmen diese Studien nur eine partielle Betrachtung vor, indem über den Lebenszyklus eines Individuen entweder aggregierte oder idiosynkratische Risiken, aber nicht beide zusammen, analysiert werden. Damit werden wichtige Interaktionen zwischen beiden Risiken vernachlässigt ‑ so ist z.B. das individuelle Risiko der Arbeitslosigkeit höher in Rezessionen. In einer Analyse unter Gesamtbetrachtung aller Risiken wird hingegen sehr deutlich, dass die Versicherungsgewinne einer Mindestrente die Effizienzverluste durch eine Finanzierung mit verzerrenden Steuern überwiegen.[16] Darüber hinaus können progressive Rentensysteme so gestaltet werden, dass die negativen Arbeitsanreize reduziert werden, z.B. wenn die Ansprüche von Erwerbstätigkeit, aber nicht von der Höhe der dabei erzielten Einkommen abhängen.[17]

Auf Basis einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung, die die Effizienz- und Verteilungs- bzw. Versicherungsmotive abwägt, ist es von daher sehr plausibel, dass die mit einer Mindestrente einhergehenden Wohlfahrtsgewinne die Effizienzverluste überwiegen.

Fazit: Mindestrente wäre auch in Deutschland eine gute Grundlage, um Altersarmut zu vermeiden

In den kommenden Jahren steht die Rentenversicherung in Deutschland nicht nur vor finanziellen Herausforderungen. Auch die Einkommenssicherungsfunktion der Rentenversicherung muss gestärkt werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Risiko für Altersarmut deutlich zunehmen wird. Eine Mindestrente, die im Rentensystem verankert ist, wäre ein wichtiger Schritt zu Reduktion von Altersarmut.[18] Eine effektive Mindestrente wäre aber auch eine wichtige Voraussetzung, um andere Rentenreformen in Deutschland umzusetzen, wie eine Erhöhung des Rentenzugangsalters oder stärkere (kapitalgedeckte) private Vorsorge. Diese Reformen haben potenziell negative Verteilungswirkungen vor allem für Haushalte mit geringen Einkommen. Eine Mindestrente könnte die finanzielle Absicherung sicherstellen und zum sozialen Ausgleich beitragen.

Als mögliche Alternative außerhalb der Rentenversicherung könnte die Grundsicherung verbessert werden. Diese ist aber nur effektiv, wenn auch die Inanspruchnahme erhöht wird. Informationskampagnen reichen hier nicht aus. Eine Alternative wäre die automatische Prüfung der Anspruchsberechtigung und die direkte Auszahlung. Mit zunehmender Digitalisierung auch der Ämter und Behörden könnte das eine Lösung für die Zukunft sein. Allerdings kann so nur eine Einkommensprüfung und keine Vermögensprüfung oder individuelle Bedarfsprüfung (z.B. Kosten der Unterkunft oder Mehrbedarfszuschläge) erfolgen, welche bisher die Grundlage der Grundsicherung in Deutschland ist.[19]

Die Einführung einer echten Mindestrente wie in den Niederlanden oder Österreich wäre ein relativ großer Eingriff in das deutsche Rentensystem. Viele Details, wie zum Beispiel die Einkommensanrechnung im Haushaltskontext, müssten geregelt werden. Diese Fragen stellten sich bereits bei der Grundrente, die gerade eingeführt wurde und aufgrund der komplexen Gestaltung erst Ende 2022 vollständig umgesetzt sein dürfte. Allerdings löst eine Mindestrente nicht alle sozialpolitischen Probleme im Alter. Insbesondere profitieren Haushalte mit einer erwarteten Rente knapp oberhalb der Mindestrente nicht. Diese Gruppe wäre aber ohne Reformen mit allgemeinen Leistungserhöhungen, die finanziell schwer darstellbar sind, von einem Rückgang des Rentenniveaus betroffen. Aber zumindest sichert eine Mindestrente besonders vulnerable Gruppen ab und kann das Risiko von Altersarmut deutlich reduzieren.

In einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung ist es sehr plausibel, dass die mit einer Mindestrente einhergehenden Wohlfahrtsgewinne die Effizienzverluste dominieren, die aufgrund der Finanzierung einer solchen Maßnahme durch allgemeine Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge entstehen. Folglich wäre eine Mindestrente eine sinnvolle Ergänzung des Instrumentariums der Rentenversicherung zur Vermeidung von Altersarmut.


[1] Statistisches Bundesamt (2019):  Bevölkerung Deutschlands bis 2060. Variante G2-L2-W2 der 14. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (online verfügbar), abgerufen am 26. August 2021. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). Die demografischen Vorausberechnungen enthalten dabei auch eine gewisse Unsicherheit, da sich Wanderungen, Fertilität und Lebenserwartung nicht exakt vorhersagen lassen. Weniger unsicher ist der generelle Trend über die kommenden 20 Jahre, da die geburtenstarken Jahrgänge bis Anfang der 2030er Jahre in Rente gehen und diese Entwicklung auch unter extremen Annahmen nicht umgekehrt werden kann. Allerdings ist auch wichtig zu bedenken, dass demografische Abhängigkeitsquoten noch nichts über die ökonomischen Abhängigkeitsquoten aussagen. Auch in dem absehbar kleiner werdenden Erwerbspersonenpotenzial lassen sich Erwerbstätigkeit und/oder Erwerbsumfang theoretisch steigern.

[2] Verschiedene Studien zeigen, dass sich der Niveaurückgang in den dann folgenden Jahren noch weiter fortsetzen wird. Vgl. Axel Börsch-Supan et al. (2020): Entwicklung der Demographie, der Erwerbstätigkeit sowie des Leistungsniveaus und der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. DIW Discussion Papers 1857 (online verfügbar).

[3] Hermann Buslei et al. (2019): Das Rentenniveau spielt eine wesentliche Rolle für das Armutsrisiko im Alter. DIW Wochenbericht Nr. 21/22, 375–383 (online verfügbar).

[4] Johannes Geyer at al. (2019).: Anstieg der Altersarmut in Deutschland: Wie wirken verschiedene Rentenreformen? (online verfügbar).

[5] Johannes Geyer (2012): Riester-Rente und Niedrigeinkommen: was sagen die Daten? Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 81/2, 165–180; Florian Blank (2011): Die Riester-Rente – Überblick zum Stand der Forschung und sozialpolitische Bewertung nach zehn Jahren. Sozialer Fortschritt 60/6, 109–115; Johannes Geyer und Ralf Himmelreicher (2021): Trotz Rechtsanspruch ist de Nutzung der Entgeltumwandlung sehr ungleich verbreitet. DIW Wochenbericht Nr. 4, 47–55 (online verfügbar).

[6] Johannes Geyer, Peter Haan und Michelle Harnisch (2020): Zur Wirkung der Grundrente und der Mütterrente auf die Altersarmut. Gutachten für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

[7] Hermann Buslei et al. (2019): Starke Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung deutet auf hohe verdeckte Altersarmut. DIW Wochenbericht Nr. 49 (2019), 909–917 (online verfügbar).

[8] Hier wirkt sich auch der vorgesehene Freibetrag für Renteneinkommen im Wohngeld aus. Die Wohngeldquote würde entsprechend ansteigen. Johannes Geyer und Hermann Buslei (2021): Einkommenswirkung und fiskalische Kosten der Grünen Garantierente: Endbericht; Forschungsprojekt Im Auftrag Der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (online verfügbar).

[9] Vgl. OECD: Renten auf einen Blick 2019: Alterssicherung für Selbstständige in Deutschland lückenhaft (online verfügbar).

[10] Mehr Details zum österreichischen Rentensystem finden sich z.B. in Florian Blank et al. (2016): Alterssicherung in Deutschland und Österreich: Vom Nachbarn lernen? WSI-Report Nr. 27 (online verfügbar).

[11] Die Einkommensprüfung umfasst neben den Pensionen auch andere Einkünfte und berücksichtigt insbesondere auch Unterhaltsansprüche, vgl.  Auskünfte auf der österreichischen Website der Regierung.

[12] Insofern die Ersparnisse der Inländer Investitionen im Inland finanzieren.

[13] Der übliche Ansatz zur Beantwortung dieser normativen Frage in makroökonomischen quantitativen Modellen ist es, Haushalte und deren Entscheidungen über den Lebenszyklus zu modellieren. Dabei wird im Nutzenkalkül der Haushalte angenommen, dass der Haushalt von mehr Konsum profitiert (Effizienzmotiv) zugleich aber eine gewisse Aversion gegen Schwankungen von Konsum hat (Versicherungs- und Verteilungsmotive). Das Wohlfahrtskriterium ergibt sich schließlich durch Aufsummierung der Lebensnutzen aller Haushalte, wobei jeder Haushalt das gleiche Gewicht erfährt.

[14] Siehe z.B.: Barbara Engels, Johannes Geyer und Peter Haan: Pension incentives and early retirement, in: Labour Economics (EALE conference issue 2016) 47/Supplement C (1.8.2017), S. 216–231 oder Johannes Geyer und Clara Welteke: Closing Routes to Retirement for Women: How Do They Respond?, in: Journal of Human Resources 56/1 (2021), S. 311–341.

[15] Siehe z.B. İmrohoroğlu, A, S. İmrohoroğlu und D. Joines (1995): A Life Cycle Analysis of Social Security, Economic Theory, 6(1), 83-114 sowie Conesa, J.C. und D. Krueger (1999): Social Security Reform with Heterogeneous Agents, Review of Economic Dynamics, 2(4), 757-795.

[16] Siehe hierzu Harenberg, D. und A. Ludwig (2015): Social Security in an Analytically Tractable Overlapping Generations Model with Aggregate and Idiosyncratic Risk, International Tax and Public Finance, 22(4), 579-603 und Harenberg, D. und A. Ludwig (2019): Idiosyncratic Risk, Aggregate Risk, and the Welfare Effects of Social Security, International Economic Review (2019), 60(2), 661-692.

[17] Siehe hierzu Kindermann, F und V. Püschel (2021): Progressive Pensions as an Incentive for Labor Force Participation, mimeo. Diese Arbeit baut unter anderem auf Fehr, H., M. Kallweit und F. Kindermann (2013): Shouldpensionsbeprogressive?, European Economic Review 63, 94-116 auf, die wiederum zeigen, dass für das deutsche Rentensystem eine deutliche Erhöhung der Umverteilung wohlfahrtsoptimal wäre.

[18] Auch der Vorschlag einer Sockelrente im „Cappuccino-Modell“ der katholischen Verbände geht in diese Richtung.

[19] Vgl. Peter Haan und Johanns Geyer (2020): CDU-Vorschlag für Rentenreform: Der Teufel steckt im Detail. Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 16.12. (online verfügbar).


Alexander Ludwig

Alexander Ludwig

Since 2009 I am Professor of Economics and since April 2014 I am Professor for Public Finance and Macroeconomic Dynamics at Goethe University, Frankfurt.

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